Problem Rettungsgasse: Helfer erreichen Einsatzort häufiger zu spät
Obwohl es eine simple Regel zum Freihalten von Rettungsgassen auf Autobahnen gibt, kommen Einsatzkräfte immer häufiger nicht rechtzeitig zu Unfallstellen, weil die lebensnotwendigen Lücken fehlen. Stattdessen müssen sie zu Fuß zu Verletzten gelangen, währenddessen viele wertvolle Minuten vergehen. Eine Tatsache mit teilweise fatalen Folgen.
Erst kürzlich ereignete sich auf der A7 bei Kassel ein Unfall mit massivem Rückstau. Beim Auffahren auf die Autobahn streifte ein Autofahrer einen Sattelzug und prallte anschließend mit einem weiteren Fahrzeug zusammen. Die Einsatzkräfte mussten aufgrund der fehlenden Rettungsgasse zwei Kilometer durch die Stauzone eilen, bis sie den Unfallort erreichten. Ob Menschen verletzt waren, wussten sie zu diesem Zeitpunkt nicht.
Der Ärger über die Autofahrer, die nicht an die Rettungsgasse denken, ist seitens der Helfer groß. Schließlich ist jede Minute kostbar bei der Versorgung von Verletzten und kann über Leben und Tod entscheiden. Sprecher des Autoclubs ADAC Hessen-Thüringen Oliver Reidegeld: „Vor allem schwer und schwerst verletzte Unfallopfer müssen möglichst schnell versorgt werden – hier zählt jede Minute.“ Hinzu kommt die unnötige Belastung der Rettungskräfte. „Wenn die Sanitäter erst noch zur Unfallstelle laufen müssen, ist das natürlich eine erhebliche Stresssituation“, erklärt Günter Ohlig, Landesverband Hessen im Deutschen Roten-Kreuz.
Fahrlehrer aus Offenbach Ulrich Urban führt das Problem, das immer seltener eine Rettungsgasse korrekt gebildet wird, auf die Gedankenlosigkeit von Autofahrern zurück: „Das Thema wird in den Fahrschulen natürlich gelehrt. Aber das ist wie mit vielen Verkehrsregeln: Man kann schulen, so viel man will – wenn die Menschen das nicht verinnerlichen, verläuft das im Sand.“ Ein gesamtgesellschaftliches Problem ist es stattdessen laut Peter Fiesel, Verkehrspsychologe aus Frankfurt: „Ich beobachte einen zunehmenden Egozentrismus in der Gesellschaft, während Mitgefühl und Rücksichtnahme schwinden.“
Die Landesregierung Hessen will Autofahrern die Bedeutung der Rettungsgasse ins Gedächtnis rufen. Bereits 2015 wurde eine Kampagne gestartet. An mehreren Brücken auf viel genutzten Autobahnen werden im Wechsel 50 individuell gestaltete Banner platziert, um Autofahrer zu sensibilisieren. Gleichzeitig kommen Plakate, Aufkleber und Flyer zum Einsatz. Zudem hat sich Hessen laut Innenministerium für eine Regelvereinfachung stark gemacht. In der Praxis hätte die alte Regel regelmäßig zu Missverständnissen geführt, weil die Rettungsgasse auf Autobahnen mit vier Spuren mittig gebildet werden musste. Nach Paragraf 11 Absatz 2 Straßenverkehrsordnung lautet die Faustregel zur Bildung der Rettungsgasse seit der Änderung im Dezember folgendermaßen: „Sobald sich ein Stau bildet – und auch schon bei zäh fließendem Verkehr – orientieren sich Autofahrer auf der äußersten linken Spur nach links, alle anderen nach rechts“, so Polizeisprecher Nordhessen Matthias Mänz. Dies sei nun unabhängig der Fahrstreifenzahl die verbindliche Regelung. Oft würden Autofahrer zu spät an die Bildung der Rettungsgasse denken. Sind die Abstände zwischen den Fahrzeugen erst einmal zu gering, ist es zu spät.
Der Zwischenfall auf der A7 zog glücklicherweise keine Verletzten nach sich, obwohl die Rettungsgasse fehlte. Ausnahmsweise könne den Autofahrern hier kein Vorwurf gemacht werden, da sich eine Baustelle in der Stauzone befand, so Mänz. Dennoch appelliert die Polizei an die Fahrer, stets an die Rettungsgasse zu denken und diese frühzeitig zu bilden. Wer sich nicht an die Regel hält, muss mit einem Bußgeld von mindestens 20 Euro rechnen.
Fakten zur Rettungsgasse: Das müssen Autofahrer wissen!
Unter „Besondere Verkehrslagen“ regelt die Straßenverkehrsordnung unter Paragraf 11, Absatz 2 wo und wann eine Rettungsgasse gebildet werden muss. Demnach müssen Autofahrer Hilfs- und Polizeifahrzeugen auf Autobahnen mit mindestens zwei Fahrstreifen die Durchfahrt ermöglichen, sobald mit Schrittgeschwindigkeit gefahren wird beziehungsweise der Verkehr bereits zum Erliegen kam. Seit der Gesetzesanpassung im Dezember 2016 muss die freie Gasse „zwischen dem äußerst linken und dem unmittelbar rechts daneben liegenden Fahrstreifen“ gebildet werden. Bis zur Änderung richtete sich die Position der Rettungsgasse nach der Fahrstreifenanzahl.